Marvin Tetzel postete unmittelbar nach seinem EM-Triumph seine Siegesmedaille auf Facebook. Simon Lizotte musste sich dagegen als Vize-Europameister mit 1.610 Euro Preisgeld über seinen verlorenen Titel trösten. Ein Wurf. Ein einziger Wurf. Ein einziger lächerlicher Wurf hatte an dem Tag, als ein „Finnen-Sturm“ über den Parc des Evaux hinwegfegte, in der Open-Kategorie, bei Junioren und Masters über Sieg und Niederlage entschieden. Im Finale der Discgolf-Europameisterschaft hatte die Regie einen „Drama-Tag“ ins Drehbuch der 198 Teilnehmer aus 24 Ländern geschrieben, an dessen Ende die Finnen vier der sechs EM-Titel mit nach Hause nahmen.
Was zum Teufel hatten die Finnen am 23. August in ihrem Frühstückstee? Mit zwei Würfen Vorsprung auf Seppo Paju war Titelverteidiger Simon Lizotte in die Finalrunde auf dem 2.395 Meter langen Kurs gestartet. Drei waren es auf Pajus Landsmann Juho Parviainen. Zu allem Überfluss stand mit Pasi Koivu noch ein dritter Finne im Leading Flight. Finnisch als neue „Amtssprache“ in Discgolf-Euroland.
Seppo Paju lief im Finale „heiß“: 12 Birdies
Mit einem Birdie an Bahn zwei baute der 21-Jährige Bremer zunächst seinen Vorsprung auf drei Würfe aus. Doch der erst 19-Jährige Paju, der bereits 2010 U-16-Weltmeister geworden war, konterte auf den beiden folgenden Bahnen mit zwei Birdies und lief nun buchstäblich „heiß“. An Bahn acht zog Paju mit Simon gleich, ging an der neun erstmals in Führung. Simon egalisierte noch einmal an Bahn elf. Doch mit vier Birdies zwischen Bahn zwölf und 15 baute Paju seine Führung auf drei Würfe aus.
Dreikampf bis Bahn 18: Ein „Eagle“ reichte Simon nicht zum Sieg
Doch der Bremer fightete noch einmal zurück, nahm Paju an Bahn 16 einen Wurf ab. Selbst ein „Eagle“ an der 246 Meter langen Bahn 18 reichte dem Deutschen Meister nicht mehr, um seinen Titel zu verteidigen. Paju spielte ein Birdie und gewann mit einem Wurf Vorsprung. Immerhin sicherte sich Simon mit dem Eagle Platz zwei, den er an der vorletzten Bahn vorübergehend an den ebenfalls entfesselt aufspielenden Juho Parviainen (zwölf Birdies) verloren hatte.
Keiner der vier Finalisten hatte auf den 18 Bahnen ein Bogey gespielt. Den Ausschlag gaben am Ende die Birdies: Paju und Koivu hatten jeweils zwölf, Parviainen elf auf ihrer Scorecard. Bei Simon waren es sieben und ein „Eagle“.
Marvin Tetzel: „Da ist das Ding!“
„Da ist das Ding!“ Stolz präsentierte Marvin Tetzel seine Goldmedaille unmittelbar nach seinem EM-Triumph auf Facebook. Die Gratulanten ließen im sozialen Netzwerk nicht lange auf sich warten. Ein Fan wollte wissen, wann es sein offizielles Trikot mit dem Stern zu kaufen gebe. Ein anderer drohte dem 17-Jährigen ausgedehnte Feierlichkeiten bei seiner Rückkehr an. Zahlreiche Glückwünsche zeigten, dass die Discgolfer in Deutschland mit dem Wolfenbütteler mitgefiebert hatten.
Selbstbewusst hatte sich Marvin vor der EM das „Treppchen“ als Ziel gesetzt. Mit einem PDGA-Rating von 990 zeugte dies keinesfalls von Selbstüberschätzung. Doch nach zwei Runden sah es gar nicht danach aus, dass Tetzel Sven Rippel nachfolgen könnte, der 2012 bei der EM in Colchester den Titel gewonnen hatte. Mit einer Par-Runde am Donnerstag war der Deutsche Meister nur Fünfter mit sieben Würfen Rückstand auf den Finnen Niko Rättyä und sechs auf den Schweden Albin Lindberg.
Tetzel „explodierte“ in der dritten Runde: zwölf unter Par!
Der Freitag brachte die Wende: Marvin „explodierte“ mit einer unfassbaren 53er-Runde, die mit 1050 im PDGA-Rating zu Buche schlug. Es war an diesem Tag die zweitbeste Runde im gesamten Teilnehmerfeld, getoppt nur von Seppo Pajus 51 – der besten des gesamten Turniers. Nun hatte er vor der Finalrunde den Druck: Mit einem Wurf Vorsprung führte er vor Rättyä. Doch auch die Schweden Kappling (drei) und Lindberg (fünf) waren noch in Schlagdistanz.
Doch Tetzel blieb cool und wehrte die Angriffe von Rättyä und Lindberg, der mit einer 57er-Runde noch bis auf einen Wurf herankam, ab. Ein Wurf. Ein einziger Wurf Vorsprung. Ein einziger lächerlicher Wurf nach vier Runden und 72 Bahnen. Mit dem Happy End für Marvin.
Eine „Steigerung seines Bekanntheitsgrades“ hatte sich Tetzel vor der EM gewünscht. Vielleicht bauen ihm die dem Discgolf äußerst wohlgesonnenen Wolfenbütteler Stadtväter nun ein Denkmal im Seeliger Park. Wo der Teenager angefangen hatte, Discgolf zu spielen. Vor vier Jahren … 2013 Deutscher Meister dort. 2014 Europameister. Das nennt man wohl eine steile Karriere.