Ein Bericht aus einer anderen Sicht
Ein lautes „Tock“ zerreißt die friedliche Stille, gefolgt von dem wütend geknurrten Kommentar: „Och neee, Scheibenkleister !“ Oh je, ist schon wieder ein Jahr vergangen ? Ich hatte die beschauliche Idylle so genossen. Ab und zu kamen mal Rehe, Vögel oder Nacktschnecken vorbei; die waren alle ganz harmlos. Aber seit Freitag Nachmittag ist es mit der Ruhe vorbei.
Ich stehe seit Jahrzehnten im Waldgebiet Frankenholz oberhalb des Dörfchens Heuweiler im Glottertal und genieße die Aussicht auf die Weinberge und den Schwarzwald. Doch plötzlich kommen Zweibeiner, legen einen grünen Teppich in fünf Meter Entfernung von mir aus und befestigen ein Schild an einem Baumstumpf auf der Wiese.
Seitdem ist hier viel los. Ständig kommen kleine Gruppen von Menschen an, die viele bunte Scheiben in ihren Taschen tragen. Sie stellen sich auf den Teppich, zappeln ein bißchen herum und swooosh – schneller als ich gucken kann – fetzen sie mir mit ihrem scharfkantigen Spielzeug die Rinde ab. Doch für einen solchen grundlosen Angriff höre ich statt einer Entschuldigung nur den Kommentar: „Böser Baum.“
Ok, denke ich mir, mach ich es den Scheibenwerfern halt leichter. Beim nächsten Anflug einer Disc kommandiere ich meine sämtlichen Moleküle zur Seite, damit ich der Scheibe ein breiteres Fenster bieten kann und diesmal ungeschoren davonkomme. Dafür ernte ich zwar den erhofften Zuruf „Guter Baum, danke !“ Aber der kurzsichtige Mensch hat die Flugbahn seines Schwebedeckels aus den Augen verloren und durchkämmt jetzt fluchend die Gebüsche und Farne hinter mir.
Mir sind sogar sechs Zweibeiner aus Hessen und Nordbayern begegnet: Chris, Tobi, Frank, Julian, Guido und Sonja. Sie haben das Suchen ihrer Scheiben zu ihrem Vereinsmotto erklärt. So streifen die Scheibensucher nach suboptimalen Würfen unverzagt durchs Unterholz. Doch genau wie meine holzigen Kumpels zeigen auch einige dieser Verrückten im Laufe der Spieltage Verschleißerscheinungen. Mit müden Knochen und schweren Lidern jammern sie am Sonntag Morgen: „Boah, ich hab kaum gepennt!“
Ich denke mir dabei: Euch wird bald geholfen werden. Als dann die ersten Tropfen des angekündigten Regens fallen rollen alle meine Kumpels ihre Blätter zusammen, damit diese müde Truppe die belebende Dusche in vollen Zügen genießen kann. Doch diese Regenwaldatmosphäre stößt auch nicht auf Begeisterung. Mit schlammigen Schuhen und nassen Klamotten trollen sich die Zweibeiner zum Mittagessen und werden nicht mehr gesehen. So lob ich mir das Dasein als raumübergreifendes Großgrün; da hab ich schön meine Ruhe – bis zum nächsten Jahr.
Bericht : Sonja Scheidemantel
Bilder : DGCA, Guido Reinhard